Die Vision einer Fotostadt für den Jurasüdfuss

Titelgeschichte KOLT Nummer vier 2012 "Im Fokus der Fotografie"

Avanciert Olten zu einer Fotostadt? Nach dem Tod des Oltner Fotografen Franz Gloor im Jahr 2009 und durch die Schenkung des Solothurner Fotografen Roland Schneider im Februar 2012 ist die Stadt Olten in den Besitz umfangreicher Fotobestände gekommen. Nun wird kontrovers diskutiert, ob Olten einen „Ort der Fotografie“ mit überregionaler Ausstrahlung erhalten soll. Selbst unter den Fotografen gibt es jedoch kritische Stimmen.


Text: Karola Dirlam-Klüh

»Wir wünschen uns einen 'Ort der Fotografie' für den ganzen Kanton Solothurn“, erzählt Ruth Grossenbacher, Präsidentin des Vereins „Archiv Olten“. Der Verein – im Dezember 2009 auf Wunsch von Franz Gloor gegründet und von ihm mit der Förderung und Erhaltung der Fotografie in der Region am Jurasüdfuss beauftragt – will einen Ort schaffen, an dem in Zukunft Ausstellungen stattfinden und weitere Fotosammlungen archiviert werden können. Als Standort für dieses 'Kompetenzzentrum für Fotografie’kommt für Grossenbacher nur die Stadt Olten in Frage: „Mit den beiden Schenkungen von Gloor und Schneider wurde hier bereits der Anfang gemacht“, erklärt die ehemalige Nationalrätin, die Franz Gloor während ihrer Tätigkeit als Präsidentin der Solothurner Filmtage kennen- und schätzen lernte. Auch in Fotografenkreisen gilt die Dreitannenstadt als idealer Standort für einen solchen 'Ort der Fotografie': „Olten ist ein Verkehrsknotenpunkt, mit der Bahn bestens zu erreichen, ist die am zentralsten gelegene Stadt am Jurasüdfuss“, nennt André Albrecht die bekannten Vorzüge. „Und ausserdem“, fügt der 47-jährige Oltner Fotograf hinzu, „sollte Olten im kulturellen Bereich auch mal was Beständiges auf die Beine stellen.“ Ein 'Haus der Fotografie’stünde ihr gut, ist Albrecht überzeugt. „Eine separate Liegenschaft für fotografische Ausstellungen, Archivierung und Katalogisierung von Fotos würde nicht nur den kulturellen Austausch und damit die Gesamtbewegung der Fotografie in unserem Kanton fördern, sondern auch zur Qualitätssicherung in unserem Metier beitragen.“ Kümmere sich in den kommenden Jahren niemand um das Zusammentragen und die Archivierung der aktuellen Fotobestände, gingen viele Erinnerungen verloren.

Unter einem etwas anderen Blickwinkel verfolgt Hansruedi Aeschbacher, stadtbekannter Fotograf beim Oltner Tagblatt, die Diskussion um einen 'Ort der Fotografie’ in Olten: Für ihn geht es nicht primär um die Archivierung von Fotografie, sondern vor allem um deren Vermittlung – „zum Beispiel in Form von Ausstellungen zu aktuellen fotografischen Arbeiten“. Die momentane Ausstellung „Fotografie der Gegenwart am Jurasüdfuss“ im Historischen Museum sei schon super, so Aeschbacher. Aber auch er wünscht sich einen eigenständigen Ort, an dem Fotokunst nicht nur archiviert und katalogisiert, sondern vor allem auch präsentiert, gefördert und vermittelt werden kann.

Dass es so etwas in Olten je geben wird, glaubt Marco Grob nicht. Das Urteil des aus der Dreitannenstadt stammenden Schweizer Starfotografen ist vernichtend: „Olten ist keine Fotostadt – war sie nie und wird sie wohl auch nie sein.“ Der 47-Jährige, der sich 2007 in New York niederliess und heute einer der erfolgreichsten Porträtfotografen der Welt ist, fände es zwar schön, wenn lokale Fotografie, die das Leben und Zeitgeschehen in der Region Jurasüdfuss umspannt, mit dokumentarischer und lokalzeitgeschichtlicher Relevanz eine perfekte Plattform bekäme. Aber: „In den 37 Jahren, in denen ich in Olten lebte, kam nie eine wirklich professionelle Ausstellung in Sachen Präsentation zustande.“ Marco Grob sagt daher, dass er einem Zentrum für Fotografie in Olten „sehr kritisch“ gegenüberstehe.
Zu oft habe er Halbherzigkeiten erlebt, „und die bringen einfach nichts“. Und weiter: „Wenn dem Oltner Publikum regionale Fotografie wirklich wichtig wäre, hätte es sich kaum fast zwei Jahrzehnte lang mit dem obersten Stock des Stadthauses zufrieden gegeben, ohne zur Meuterei aufzurufen.“ Die entsprechenden Räume seien wegen der vielen Fensterflächen ein „wahrer Ausstellungs-Supergau“, so Grob. Die aktuelle Ausstellung im Historischen Museum, an der er auch selbst teilnimmt, sei von den Verantwortlichen zwar leidenschaftlich und gut gemacht worden, doch seien die Räume mit ihren Glaskästen für die Präsentation von Fotografie längerfristig nicht voll zufriedenstellend.

Auch Ruth Grossenbacher lobt die Zusammenarbeit mit dem städtischen Museum, es sei ein guter Ort, die Zusammenarbeit sei perfekt. Sie wünscht sich aber grössere Unabhängigkeit: „Wir brauchen einen eigenen Ort, weil wir auch unter Eigenregie etwas machen wollen.“ DerselbenMeinung ist auch Peter Kaiser, seit Ende 2001 Leiter des Historischen Museums Olten. Auch er findet, dass es einen Ort der Fotografie geben sollte. Aber: „Das sollte etwas Dauerhaftes sein und müsste bei einer bereits bestehenden Institution angesiedelt werden. Mir schwebt eine institutionalisierte Fachstelle für Fotografie vor, die sich um die Umsetzung aller Vorhaben kümmert.“ „Sein“ Museum sieht der 57-Jährige dabei nicht unbedingt in der Pflicht: „Unsere nächste Aufgabe ist die Archivierung der ganzen geschenkten Fotografien. Das wird uns mehrere Jahre lang beschäftigen.“ Man merkt: Kaiser ist in erster Linie Historiker; Fotos sind für ihn vor allem historische Quellen. „Es gibt aber jede Menge andere wichtige Quellen, um die wir uns auch kümmern müssen.“ Soll heissen: Für einen im Historischen Museum angesiedelten Ort der Fotografie fehlt sowohl Personal als auch Geld.

Trotzdem sollte man die Vision „Fotostadt Olten“ unbedingt weiterverfolgen, findet Kaiser. „Die Kompetenzen“, ist er überzeugt, „hätten wir.“ Schliesslich beschäftige man sich bereits seit Jahren mit Fotografie. Bisher stehe die Idee aber bloss im Raum. Man habe leider noch gar keine klaren Vorstellungen. Wo könnte ein Zentrum für Fotografien angesiedelt werden? Welche Kompetenzen und Aufgaben sollte es haben? Wie kann es finanziert werden? Und vor allem: Soll so etwas überhaupt entstehen? Fragen über Fragen. Um diese zu beantworten, „müssten sich die zuständigen Stellen erstmal einigen“, so Kaiser.

Die zuständigen Stellen? Das können nur die Stadt Olten und der Kanton Solothurn sein. Diese unterstützen die Vision eines Ortes der Fotografie bisher vor allem ideell, erzählt Ruth Grossenbacher, „wahrscheinlich, weil damit auch eine Aufwertung des Standortes Olten einhergehen würde“. Aber auch materielle Hilfe sei gegeben – mit der geplanten Archivierung der beiden Fotosammlungen von Gloor und Schneider.
Und tatsächlich: „Bei der Stadt Olten konzentriert man sich momentan hauptsächlich auf die genannten Erschliessungsarbeiten der vorhandenen bzw. neuen Bestände. Stadtschreiber Markus Dietler bestätigt, dass man damit im Moment „voll beschäftigt“ sei, und betont die Kompetenz im Umgang mit Fotos, die die Stadt durch das Historische Museum und das Stadtarchiv hat. Alle bisherigen Fotobestände im Besitz der beiden Institute hätten jedoch einen lokalen Bezug. Gehe es um mehr – damit meint Dietler das als Idee umherschwirrende Kompetenzzentrum für Fotografie am Jurasüdfuss – sei die Initiative des Kantons Solothurn und allenfalls Privater gefragt. Olten selbst müsse sich mit seinen finanziellen und personellen Ressourcen auf seinelokalen Aufgaben konzentrieren, das heisst die bestehenden Museen und deren Ausbaupläne. „Mehr können wir im Moment nicht leisten“, so Dietler. „Eine Unterstützung von allfälligen Initiativen im Bereich Fotografie würde durch die Stadt aber sicher geprüft.“

Etwas anders klingt es aus kantonaler Sicht: Alain Gantenbein, Präsident der Fachkommission Film und Fotografie des Kuratoriums für Kulturförderung des Kantons Solothurn, betont, dass der Kanton es in dieser Sache „nicht als seine Aufgabe sieht den Lead zu übernehmen“. Soll heissen: Kräfte in der Stadt Olten sollen die Initiative ergreifen; der Kanton sei bereit, subsidiär zu unterstützen. Olten als Standort für einen Ort der Fotografie sei wegen seiner idealen Verkehrserschliessung schon gut, aber auch Alain Gantenbein ist der Meinung, man dürfe sich nicht allein auf das Historische Museum beschränken: „Die Räumlichkeiten dort eignen sich leider nur bedingt für Fotoausstellungen. Man bräuchte auch offene, grosszügige Räume.“ Wo die zu finden sind, weiss Gantenbein auch nicht. Als nächstes müsse erstmal ein umfassendes Konzept erarbeitet werden, wünscht sich der 53-Jährige. Dieses mittelfristige Ausstellungskonzept müsse aus Olten kommen und nicht nur die Archivierung, sondern auch die Vermittlung der fotografischen Werke umfassen – „denn nur so bleiben die Bilder auch am Leben“. Bis dahin seien auf kantonaler Ebene direkt erstmal keine konkreten Schritte geplant. Mit seiner Kommission versuche er lediglich, die beteiligten Kräfte zu bündeln – „auch, damit keine falschen Erwartungen geweckt werden.“
Konkreter äussert sich Cäsar Eberlin, Leiter des kantonalen Amtes für Kultur und Sport. Er berichtet von einem Museumskonzept, das der Regierung bereits vorgestellt wurde und sich der Frage widmet, wie die fotografische Substanz – und auch andere Kulturgüter – des Kantons erhalten werden können. Die Idee, in Olten einen Ort der Fotografie einzurichten, ist auch Eberlin bekannt: „Sie begegnet mir in verschiedenen Kontexten.“ Doch für ihn ist alles eher eine Frage der Ressourcen: „Man kann nicht alles erfüllen.“ Deshalb sehe das bereits erwähnte Museumskonzept nicht die Gründung einer neuen Institution, sondern eine Aufgabenverteilung auf verschiedene bereits bestehende Einrichtungen im Kanton vor. Das Historische Museum in Olten, aber auch die Zentralbibliothek in Solothurn und das grafische Zentrum im Kunsthaus von Grenchen sollen dabei entscheidende Aufgaben übernehmen. Auf jeden Fall sollten diese Aufgaben auf kantonaler Ebene gelöst werden, ist Eberlin überzeugt.
Fazit: Ob es einen Ort der Fotografie in Olten geben wird, welche Rolle Fotografie am Jurasüdfuss in Zukunft spielen wird und wie die Aufgaben rund um Archivierung, Erhaltung und Vermittlung kantonaler Kulturgüter gelöst werden, steht zurzeit noch in den Sternen. Bleibt zu hoffen, dass die beteiligten Personen und Institutionen in absehbarer Zeit gemeinsam an einer Beantwortung aller Fragen arbeiten, damit gute Ideen in die Praxis umgesetzt werden können.
Für Ruth Grossenbacher stehen die nächsten Ziele jedenfalls fest: Finanzbeschaffung,Organisation einer Ausstellung mit Bildern von Roland Schneider oder einer Ausstellung über die 18-jährige Zusammenarbeit von Gloor und Schneider im Frühjahr 2013 – sowie, natürlich, die Weiterverfolgung ihres Traums: einem Ort der Fotografie in Olten.


Ganzer Artikel aus KOLT Nummer vier 2012 mit Bildern von Oltner Fotografen als PDF-Datei

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