Zum Tod von Roland Schneider
Als Roland Schneider im September 2022 verstarb, bat die Redaktion der Solothurner Zeitung die Gründungspräsidentin von Archiv Olten, Ruth Grossenbacher-Schmid, einen Nachruf zu verfassen. Ihr sehr persönlicher und eindrücklicher Beitrag erschien am 4. Okober 2022.
Roland Schneider war ein begnadeter Fotograf. Als Industriefotograf wurde er international bekannt. Seine Bilder gingen um die Welt und er erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen. Am meisten freute ihn aber 1982 der Kunstpreis des Kantons Solothurn.
Kennen gelernt hatte ich Roland Schneider 1959 in Erlinsbach, als er, noch als Seminarist, eine halbjährige Stellvertretung an der Oberstufe übernahm. Ich unterrichtete gleichzeitig an der Primarschule. Schon damals war Fotografieren seine Leidenschaft. Mit seiner Rolleiflex, einer zweiäugigen SpiegelreflexKamera, konnte er sich stundenlang in der Aarelandschaft bewegen, bis er – in seinenWorten – ein Bild «schoss». Schon damals war Roland Schneider ein Suchender.
1960 bis 1963 studierte er Fotografie an der FolkwangHochschule für Gestaltung in Essen. 1964 begann er am Stalden in Solothurn als freischaffender Fotograf zu arbeiten. Er spezialisierte sich auf die Industriefotografie, arbeitete für Von Roll, Bally, Sulzer, Cern, Chemiekonzerne in Basel und danach in zahlreichen europäischen Ländern.
Roland Schneider interessierte sich hauptsächlich für die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter, darunter viele aus Italien, sowie für die Beziehung Mensch–Industrie. Nicht immer zur Freude seiner Auftraggeber. Denn er hatte immer eine Leica in seiner Hosentasche versteckt. Mit dieser fotografierte er die «Welt» der abgehärmten Arbeiterinnen und Arbeiter, ihre Verlorenheit, ihre Träume.
1972 bis 1990 arbeitete er mit dem Oltner Fotografen Franz Gloor (1948–2009) zusammen. Sie ergänzten sich. Franz Gloor war eher der stille Schaffer im Hintergrund, Roland Schneider sorgte für die Aufträge. Ihre Geschäftspartnerschaft dokumentierten sie mit einem gemeinsamen Copyright. Sie beteiligten sich an Ausstellungen, schufen Bildbände und unzählige Publikationen für Firmen und Institutionen.
1987 folgte für Roland Schneider eine «Zwischenzeit». Eine schwere persönliche Krise zwang ihn zu einem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik Solothurn. Dr. Zoss, der damalige Klinikdirektor, erlaubte Roland Schneider, überall in der Klinik zu fotografieren. Bei meinen Besuchen führte er mich in sein Zimmer, das er zum Fotoatelier umgestaltet hatte. Auf seinem Bett lagen Fotoabzüge – ungeordnet. Zu jedemBild hatte er einen Kurztext geschrieben. Diese Texte besprach er mit mir, begründete sie, veränderte sie. So bezeichnete er zum Beispiel das Bild einer alten Patientin mit einer Puppe im Arm mit «Liebe».
Seine Texte berührten mich ebenso stark wie seine Bilder.
Dann durfte ich ihn auf seinem Gang durch die Klinik begleiten. Von den Patientinnen und Patienten wurde er mit Freude begrüsst. Man spürte das Vertrauen, das sie in ihn hatten. Für sie war er etwas Besonderes: kein Pfleger, kein Arzt – einfach der «Fotograf».
Die Vernissage der Fotoausstellung mit dem Bildband «Zwischenzeit – oder der Weg ins Freie» 1988 wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis, und die Klinik kaum mehr als Ghetto empfunden. Anfang der 1990er-Jahre trennten sich Roland Schneider und Franz Gloor.
Kurz vor seinemTod, im Dezember 2009, vermachte Franz Gloor sein gesamtes Werk der Stadt Olten. Das Historische Museum verwaltet seinen Nachlass. Wenig später übergab auch Roland Schneider sein Werk dem Historischen Museum Olten. Zeitgleich wurde der Verein Archiv Olten (zur Bewahrung und Förderung der Fotografie am Jurasüdfuss) gegründet.
Mit den Fotografien von Schneider und Gloor organisierte der Verein zwei Ausstellungen: 2013 «Der andere Blick» in der Stadtkirche Olten und 2014 «Die Fotografen Roland Schneider und Franz Gloor» in der Zentralbibliothek Solothurn. Roland Schneider besuchte beide Ausstellungen mit Anteilnahme und Freude, zog sich aber immer mehr in seine eigene Welt zurück. Am 19. September ist Roland Schneider verstorben.
Wenn ich nach all diesen Jahren Bilder von Roland Schneider sehe, begegne ich ihm mit seiner Kreativität, seinem ganz besonderen Humor und seiner Menschlichkeit.
Ruth Grossenbacher-Schmid